Bereits zum zweiten Mal folgten im August ausgewählte Expert*innen und Meinungsbildner*innen aus Wirtschaft, Forschung und Bildung dem Ruf nach Alpbach, um am High Level Retreat on Financial Literacy des Europäischen Forum Alpbach teilzunehmen. Auch in diesem Jahr hatten wir die große Ehre, diese drei Tage im Vorfeld zu konzipieren und vor Ort zu hosten. Themen, die uns im Rahmen des Retreats beschäftigten, waren:
- Der Einfluss von Finanzbildung auf soziale Mobilität und eine sozial ausgewogene Gesellschaft
- Der aktuelle Status der Kapitalmarktpartizipation sowie Potentiale für eine erhöhte Kapitalmarktbeteiligung
- Entwicklung und Evaluierung wirkungsvoller Maßnahmen, um einer breiten Bevölkerung Zugang zum Kapitalmarkt zu bieten.
Ausgangspunkt der Diskussionen waren das aktuelle Defizit an wirtschaftlicher und finanzieller Bildung, welches die Wirtschaftsleistung hemmt, schwerwiegende Wohlfahrtsverluste verursacht und sich negativ auf die persönliche Freiheit, die Gesundheit, die soziale Teilhabe und die Schaffung von Wohlstand von europäischen Bürger*innen auswirkt. Gerade angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen sind diese Themen ein Schlüsselelement zur Sicherung des Wohlstands in Europa und der finanziellen Gesundheit sowie Resilienz seiner Bürger*innen.
Finanzbildung als Antrieb für soziale Mobilität
Am ersten Tag des Retreats wurde intensiv diskutiert, welchen Einfluss Finanzbildung auf die Schaffung einer sozial ausgewogenen Wirtschaft haben kann. Einig waren sich die Teilnehmer*innen darüber, dass finanzielle Bildung zu positiver sozialer Mobilität beiträgt. Es wurde eine Vielzahl von Faktoren ermittelt, die diesen Umstand fördern: beispielsweise das Verständnis von finanziellen Grundlagen sowie langfristiges Denken und Planen. Aber auch Hemmnisse wurden identifiziert – unter anderem spielen das persönliche Umfeld und soziale Normen eine bedeutende Rolle und haben großen Einfluss auf das Verhalten von Individuen. Die aktuelle Konsumrealität stellt ebenfalls ein großes Hindernis dar.
Auch Wirtschaftsnobelpreisträger Prof. Joseph E. Stiglitz stattete dem Retreat einen Besuch ab. In seiner Key Note adressierte er den Zusammenhang zwischen Finanzbildung und sozialer Ungleichheit. Im Anschluss wurde mit den Teilnehmer*innen angeregt diskutiert. Quintessenz seiner Ausführungen:
“Financial literacy is a lifelong process through different stages of life.”
Dem können wir nur zustimmen.
Investieren ist doch nur etwas für Reiche!
Der zweite Tag des Retreats stand ganz im Zeichen des Kapitalmarkts: Wie steht es um die Kapitalmarktpartizipation der Bevölkerung und welche Rolle spielt Ideologie in diesem Zusammenhang?
Während gebildete und wohlhabende Bevölkerungsschichten von Investitionen am Kapitalmarkt profitieren, ist der*die „Durchschnittsbürger*in“ am Kapitalmarkt (noch) kaum vertreten. Die Frage, ob die Beteiligung am Kapitalmarkt für alle vorteilhaft ist, wurde mit den Teilnehmer*innen kontrovers diskutiert – mit zwiespältigem Ausgang: Eine höhere Beteiligung am Kapitalmarkt kann einem Individuum zu mehr Wohlstand verhelfen und auch auf der Makroebene positive Effekte für Wirtschaft und Gesellschaft erzielen. Dennoch ist zu bedenken, dass nicht alle Individuen dieselben Interessen und Möglichkeiten haben, sich am Kapitalmarkt zu beteiligen, weswegen eine höhere Kapitalmarktpartizipation wiederum zu mehr Ungleichheiten in der Gesellschaft führen könnte.
Der Kapitalmarkt ist für alle da?!
Ausgehend von den Diskussionen und Erkenntnissen der vorangegangenen Tage, drehte sich am letzten Tag des Retreats alles darum, gemeinsam wirkungsvolle Maßnahmen zu erarbeiten und zu evaluieren, um eine breitere Öffentlichkeit als bisher am Kapitalmarkt teilhaben und davon profitieren zu lassen. Konzepte, die während dieses Tages diskutiert wurden, sind:
- Jährliche finanzielle Gesundheitskontrollen für alle: Ähnlich wie bei einer Gesundenuntersuchung, sollte sich auch die finanzielle Gesundheit jeder Person einem jährlichen Check-Up unterziehen und ggf. Maßnahmen zur Besserung ableiten lassen.
- Stärkung der zweiten Pensionssäule: Die betriebliche Altersvorsorge ist ein wichtiger Grundpfeiler unseres Pensionssystems. Durch die Stärkung dieser Säule und die Möglichkeit durch sie am Kapitalmarkt indirekt zu partizipieren, wird finanzielle Unabhängigkeit im Alter gefördert.
- Finanzielle Bildung für Politiker*innen: Politiker*innen sollen sich einer verpflichtenden Fortbildung zum finanziellen Verständnis unterziehen. So soll das Thema Finanzbildung und deren Auswirkungen in der Politik relevanter gemacht und bei zukünftigen Entscheidungen berücksichtigt werden.
Abschließend danken wir
- allen Teilnehmer*innen sehr herzlich für die informativen und inspirierenden Tage,
- dem Europäischen Forum Alpbach für den wunderbaren Rahmen
- und der ERSTE Stiftung, die dieses Retreat ermöglicht hat.
Jetzt geht es für uns darum, die Ergebnisse dieser drei Tage zu verbreiten und uns gemeinsam mit den Teilnehmer*innen dafür einzusetzen, die Maßnahmen voranzutreiben und zu realisieren – um die finanzielle Zukunft der Europäer*innen zu sichern und soziale Chancengleichheit zu fördern.
P.S. die kurze Executive Summary findest du unter diesem Link, die lange Version gibt es hier!